Grundeinkommensmodelle werden oft vom falschen Ende her aufgezäumt. Sie beginnen mit der Frage nach der Höhe des Grundeinkommens und wie es finanziert werden soll. Am Anfang muss jedoch die Frage stehen, welche Rahmenbedingungen von der Gesellschaft akzeptiert würden und welche wahrscheinlich nicht. Wenn nämlich ein relevanter Teil der Gesellschaft sich der Idee verweigert, ist sie nicht umsetzbar.
Das Ziel im Rahmen dieses Projektes ist die Konzipierung eines konsensfähigen und in Schritten umsetzbaren Modells. Unsere Überlegungen gehen dabei von folgenden Prämissen aus:
- für alle Menschen muss ein würdevolles Leben möglich sein
- die mit dem Modell erzeugten Anreize müssen gesellschaftlich wünschenswerte Entwicklungen fördern, insbesondere den sozialen Frieden sichern
- alle Maßnahmen müssen in hohem Grade adaptiv und nötigenfalls reversibel sein, um die jeweilige Wirtschaftslage berücksichtigen und auf unerwünschte Entwicklungen reagieren zu können
- die Gefahr einer sich aufblähenden Bürokratie muss ausgeschlossen werden
- der Weg zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen muss frei bleiben
Das von uns favorisierte Grundeinkommensmodell GAGE steht auf drei Säulen :
- das Recht auf Arbeit
- ein durch dieses Recht garantiertes Grundeinkommen I
- ein durch öffentliche Dienstleistungen erbrachtes Grundeinkommen II
Die Vorteile dieses Modells bestehen darin, dass dessen wichtigste Elemente bereits in Ansätzen von der Gesellschaft praktiziert werden. Die denkbaren Schäden im Falle eines Misserfolges wären sowohl beherrschbar als auch reversibel.
GAGE bedeutet GArantiertes GrundEinkommen. GAGE ist aber mehr als eine Abkürzung. Vom französischen Wortstamm her bedeutet es „Zusage, Garantie“. Es nimmt Bezug auf eine Honorarform, die in der Regel Künstlern zukommt, also die Vergütung für eine nicht bewertbare Gegenleistung. Ähnliches soll ja auch für das Grundeinkommen gelten: dass man es ohne die Deklaration einer Gegenleistung beanspruchen kann. Im Englischen bedeutet Gage so viel wie „Maßstab, Messinstrument“; und in der Tat wird die Umsetzung eines wie auch immer gestalteten Grundeinkommens der Maßstab für die Entwicklungsstufe eines modernen Gemeinwesens sein.
Die 3 Säulen des Modells
In den meisten Diskussionen über das BGE kommt ein Aspekt immer zu kurz: die öffentlich erbrachten oder subventionierten Leistungen. In der DDR sprach man von der „zweiten Lohntüte“. Sie umfasst das gesamte Spektrum von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen, die allen Menschen kostenlos oder verbilligt zur Verfügung stehen. Dies ist gewissermaßen ein bedingungsloses Grundeinkommen, das bereits praktiziert wird. Und es funktioniert. Warum also nicht an dieser Stelle ansetzen und ausbauen?! Das Naheliegendste wäre die kostenlose Nutzung aller Kultur-, Sport-, Bildungs- und Kinderbetreuungs-Einrichtungen. Auch die meisten Medien, Nahverkehrsmittel und Versicherungen könnten kostenfrei sein und natürlich das Gesundheitswesen. Dieser gesamte Komplex soll hier als Grundeinkommen II bezeichnet werden. Folgendes spricht für den Ausbau dieses Einkommensbestandteils:
- Für diese Art von Leistungen ist nie genügend Geld in den öffentlichen Kassen. Entscheidet sich die Gesellschaft für diese Schwerpunktsetzung, könnten viele bisher nicht finanzierbare Projekte, insbesondere auf kommunaler Ebene, realisiert werden. Nebenbei würde eine beträchtliche Zahl neuer (und sinngebender) Arbeitsplätze entstehen.
- Die Gefahr des Überkonsums und somit einer Überbeanspruchung der Wirtschaftsleistung wäre weit geringer als bei einem in Geldform ausgereichten Grundeinkommen. (Erich Fromm: „Man müsste in der Industrie weitgehend von der Produktion von Gütern für den individuellen Verbrauch zur Produktion von Gütern für den öffentlichen Verbrauch übergehen – zum Beispiel Schulen, Theater, Bibliotheken, Parks, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel und Wohnungsbau fördern. Anders gesagt sollte man den Nachdruck auf die Produktion von Dingen legen, die der Entfaltung der inneren Produktivität und Aktivität des einzelnen dienen. Man kann nachweisen, dass die Gier des homo consumens sich hauptsächlich auf den individuellen Konsum von Dingen bezieht, die er isst (sich einverleibt), während die Benutzung kostenloser öffentlicher Einrichtungen, die dem einzelnen die Möglichkeit bieten, sich seines Lebens zu freuen, keine Gier und Unersättlichkeit erzeugt.“ [1]
- Soziale Spannungen, die sich aus der Sichtweise ergeben, dass der „arbeitende” Teil der Bevölkerung das Grundeinkommen des „nicht arbeitenden” Teiles mit erwirtschaften muss, würden kaum entstehen, wenn das Grundeinkommen nur in Form öffentlicher Leistungen gewährt wird.
Aber eines wäre in diesem Grundeinkommen II nicht enthalten: das Geld für den Lebensunterhalt. Wie soll dieser nun gesichert werden?
Immer wieder wird ins Spiel gebracht, das Grundeinkommen mit der Pflicht zu verbinden, für die Gesellschaft eine Gegenleistung zu erbringen. Dieser Gedanke ist von vornherein zu verwerfen, denn das würde erstens die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens negieren und zweitens ein bürokratisches Monstrum erzeugen, an das man nicht einmal denken möchte. Was jedoch in diese Debatte kaum eingeworfen wird, ist das genaue Gegenteil der Arbeitspflicht: das Recht auf Arbeit. Seit 1948 in der Deklaration der Menschenrechte verankert, fristet es ein Schattendasein, denn meines Wissens ist es in keinem Land der Welt einklagbar. Aber genau dieses Recht brauchen wir!
Das übliche Modell des BGE sieht vor, dass es in einer Höhe ausgezahlt wird, welche die (wie auch immer definierten) Grundbedürfnisse sichert. Wer mehr will, kann nach Lust und Fähigkeit dazu verdienen. Der neue Ansatz des Modells GAGE sieht vor, dass man unter Inanspruchnahme des Rechts auf Arbeit die Teile des Lebensunterhaltes selbst verdient, die durch das Grundeinkommen II nicht abgedeckt werden, also in erster Linie Nahrung, Kleidung, Wohnung. Auch hier ein paar überzeugende Argumente:
- Das Gefühl, für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, ist elementar für die Würde des Menschen.
- Die zeitliche Inanspruchnahme durch eine Arbeit, die lediglich den Grundbedarf erwirtschaften muss, ist so gering, dass ein selbstbestimmtes Leben ohne weiteres möglich ist. Voraussetzung ist ein fairer Mindestlohn für jede Arbeit.
- Das Recht auf Arbeit ist nur einklagbar in einem Umfang, der die Finanzierung des Grundbedarfs ermöglicht. Wer mehr verdienen möchte, muss sich weiterhin auf dem freien Markt verdingen.
Dieses Grundeinkommen I wird also selbst verdient, ist aber in seiner Höhe durch das Recht auf Arbeit garantiert.
Menschen, die sich noch nicht bzw. nicht mehr im erwerbsfähigen Alter befinden oder die aus gesundheitlichen Gründen keine ihnen angebotene Arbeit ausüben können, erhalten das Grundeinkommen I ohne Gegenleistung, ähnlich den heute bezogenen Sozialleistungen.
Für die praktische Realisierbarkeit dieses Modells spricht, dass im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen II die Zahl der Arbeitsplätze in öffentlicher Trägerschaft stark zunehmen wird. Damit wäre auch der Diskussion vorgebeugt, private Arbeitgeber würden dann als Erfüllungsgehilfen des Rechts auf Arbeit zwangsrekrutiert.
Zur Finanzierung all dessen soll an dieser Stelle nichts gesagt werden; nicht weil es daran scheitert, sondern weil dazu schon genug gesagt wurde. Die Finanzierbarkeit eines BGE – gleich welchen Modells – wurde vielfach begründet. Dazu kommt, dass unser Modell immerhin noch eher bezahlbar ist als andere, weil es die Bereitschaft der Menschen stärkt, ihren Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, und weil es flexibler an die wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen ist.
Ronald Blaschke hat eine sehr brauchbare Gliederung [2] entwickelt, um verschiedene Grundsicherungsmodelle miteinander vergleichen zu können. Im folgenden wollen wir das Modell GAGE auf dieser Basis bewerten. Mit (!) sind Punkte gekennzeichnet, welche besonders die praktische Handhabbarkeit des Modells auszeichnen.
1. Form des Transfers und weitere Angaben zum Ansatz bzw. Modell
– partielles Grundeinkommen in Form öffentlich subventionierter Güter, Dienstleistungen und Infrastruktur (Grundeinkommen I)
– finanzielle Ausstattung für Grundbedarf (Grundeinkommen I) wird durch Recht auf Arbeit garantiert (siehe Punkt 10)
2. Personenkreis
alle in Deutschland lebenden Personen (!)
3. Höhe des Transfers
Es erfolgt kein direkter Transfer an Einzelpersonen.
Die Höhe des Transfers in öffentlich subventionierte Güter, Dienstleistungen und Infrastruktur können in ihrer Höhe der aktuellen Wirtschafts- und Haushaltslage angepasst werden. (!)
4. Finanzierung
– Träger ist das politische Gemeinwesen (Staat).
– Der erhöhte Investitionsbedarf für öffentlich subventionierte Güter, Dienstleistungen und Infrastruktur wird aus Steuermitteln finanziert.
– Das Modell befördert ein intelligentes Steuer- und Abgabensystems, erfordert aber keinen radikalen Umbau desselben, sondern geschmeidige, den sozialen Veränderungen Rechnung tragende Anpassungen. (!)
5. Institutionelle Ausformung und Verwaltung
– Das Recht auf Arbeit kann gegenüber den Kommunen geltend gemacht werden. Die Kommunen sind dafür verantwortlich, in Abhängigkeit vom Arbeitsplatzangebot der freien Wirtschaft, öffentliche Arbeitsplätze in ausreichender Zahl anzubieten. Vom Bund und den Ländern ist ein Ausgleichsfonds zu schaffen, aus dem Kommunen in strukturschwachen Regionen bei der Finanzierung öffentlicher Arbeitsplätze unterstützt werden.
– Die Jobcenter werden so stark entlastet, dass sie im jetzigen Umfang nicht mehr benötigt werden.
– In jeder Legislaturperiode ist vom Bundestag eine Enquete-Kommission einzurichten, die sich mit Fragen der Ausformung des Grundeinkommens, insbesondere der zu fördernden öffentlichen Leistungen und Infrastrukturen befasst.
6. Berücksichtigung Sonderbedarfe
Menschen, die sich noch nicht bzw. nicht mehr im erwerbsfähigen Alter befinden oder die aus gesundheitlichen Gründen keine ihnen angebotene Arbeit ausüben können, erhalten das Grundeinkommen I ohne Gegenleistung, ähnlich den heute bezogenen Sozialleistungen.
7. Andere steuerfinanzierte Sozialtransfers
vorbehalten
8. Sozialversicherungssystem
Die bisherigen Sozialversicherungssysteme (außer Arbeitslosenversicherung) bleiben bestehen. Ihre Modernisierung sollte unabhängig von diesem Modell diskutiert werden.
9. Soziale, kulturelle und andere Infrastrukturen
Dieses Element ist Wesenskern des Modells; es wird in unseren Konzepten ausführlich dargestellt.
10. Bemerkungen zu arbeitsmarktpolitischen Instrumenten und Auswirkungen
Es sind die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, die das Recht auf Arbeit insoweit garantieren, dass jeder Mensch Anspruch auf eine Erwerbstätigkeit hat, die ein Einkommen in Höhe des festzusetzenden Grundbedarfs (Grundeinkommen I) garantiert.
Dieses Recht wird von einem gesetzlichen Mindestlohn flankiert, der nicht nur Lohndumping verhindert, sondern auch eine wichtige arbeitsmarktpolitische Stellschraube wäre, um auf mangelndes oder fehlendes Arbeitskräfteangebot zu reagieren. Dies könnte gerade zu Beginn der Umsetzung die Unwägbarkeiten, die jedes Grundeinkommensmodell in sich birgt, beherrschbarer machen. (!)
11. Weitere gesellschaftspolitische Ansätze, die mit dem Transfer verbunden sind
Das Modell folgt der Erkenntnis von Erich Fromm „dass wir Prinzipien eines garantierten Einkommens mit der Orientierung unserer Gesellschaft vom maximalen zum optimalen Konsum kombinieren müssten, und dass es zu einer drastischen Verschiebung von der Produktion für individuelle Bedürfnisse zu einer Produktion für öffentliche Bedürfnisse kommen sollte.“ Daraus ergibt sich, dass das Grundeinkommen nicht vorrangig einer finanziellen oder technokratischen Lösung bedarf, sondern dass ihm der lange Prozess einer Wertebestimmung in der Gesellschaft vorausgehen muss. Dieser Prozess wird von dem hier vorgestellten, als Übergangslösung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen zu verstehenden Modell befördert.
[1] Erich Fromm (1966) „Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle“ in „Über den Ungehorsam“ Stuttgart:DVA 1982
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[2] Ronald Blaschke „Aktuelle Ansätze und Modelle von Grundsicherungen
und Grundeinkommen in Deutschland“ in „Grundeinkommen“ VSA: Verlag 2012
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