Zur Legitimation des Bedingungslosen Grundeinkommens

Das Bedingungslose Grundeinkommen bedarf der gesellschaftlichen Debatte. Einer Debatte, die sich nicht vorrangig der Finanzierung und Modellgestaltung widmet, sondern die Frage stellt, ob es gerechtfertigt ist, jedem Menschen ohne Gegenleistung einen Geldbetrag zu zahlen. Denn nur wenn die Gesellschaft diese Frage positiv beantwortet,  ist die Einführung eines BGE überhaupt denkbar.

Vertreter der Grundeinkommensidee führen oft ethisch-moralische Argumente ins Feld, um Akzeptanz zu finden. Vielmehr sollten aber grundgesetzliche Aspekte berücksichtigt werden, und es ergeben sich auch sachliche Ansprüche auf ein Grundeinkommen.

Ethisch-moralische Aspekte

Humanistische Überlegungen, wie sie bereits von den geistigen Vätern der Grundeinkommensidee angestellt wurden, sind nach wie vor aktuell. Nach Ansicht von Erich Fromm ist es eine sehr alte Norm, „dass der Mensch das uneingeschränkte Recht zu leben hat, ob er seine »Pflicht gegenüber der Gesellschaft« erfüllt oder nicht.“[1]
Genau besehen handelt es sich um urchristliche Werte („Sie säen nicht, sie ernten nicht, […] und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ Matthäus 6,26)

Die Bedingungslosigkeit, die im letzten Teil des Satzes angesprochen wird, ist der Punkt, an dem sich die Geister am häufigsten scheiden. Konrad Lorenz meint: „Die Moral eines Menschen ist zu beurteilen nach der Fähigkeit, welch großes Opfer er zu bringen bereit ist, ohne dabei an eine Gegenleistung zu denken.“[2] Die Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen, ist bei unseren Mitbürgern in hohem Maße vorhanden, und niemand verlangt in diesen Fällen eine Gegenleistung. Ein BGE jedoch ginge weit über das hinaus, was von den Menschen in Bezug auf Mildtätigkeit erwartbar ist. Das BGE darf deshalb niemals als Akt der Wohltätigkeit gegenüber einer benachteiligten Schicht verstanden werden, sondern als ein Anspruch jedes Einzelnen gegenüber der Gesellschaft.

Ethisch-moralische Argumente mögen aus Sicht ihrer Befürworter bereits ausreichen, um Akzeptanz für das  Grundeinkommen zu erzeugen. Doch so edel und gut sie auch klingen, so haben sie doch ein Manko:  Die Anderen müssen sie nicht ebenso gut und richtig finden. Es braucht also stichhaltigere Gründe, solche, die auch ökonomische Gezeitenwechsel überstehen; ansonsten würde das Grundeinkommen bei jeder kritischen Wirtschaftslage zur Disposition gestellt.

Grundgesetzliche Aspekte

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dies bedeutet zu allererst, wie Erich Fromm sagte, „das uneingeschränkte Recht zu leben“. Das Grundgesetz formuliert dies als „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ und „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Art. 2)

Diese Rechte sind in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union konkreter gefasst:

  • das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung. (Art. 14)
  • Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind (Art. 24)
  • das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben (Art. 25)
  • das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen (Art. 34)
  • das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung (Art. 35)

Die Wahrnehmung all dieser Rechte ist nicht möglich ohne ein gewisses Mindesteinkommen. Dies zu beziffern dürfte schwierig sein, zumal die Verfassung, wie Heribert Prantl sagt, „ein Imperativ [ist], der von den staatlichen Autoritäten in den Konjunktiv gesetzt wurde.“[3] Dieses Konjunktivische überträgt die Wichtung der Grundrechte dem Staat, anstatt die Entscheidung darüber dem Einzelnen entsprechend seinen jeweiligen Wertmaßstäben zu überlassen. So gewährt er ein Wohngeld, nicht aber ein Kultur- oder Bildungsgeld. Verfügt der Einzelne aber über ein garantiertes Einkommen, so kann er selbst entscheiden, welche Rechte er wahrnimmt und welche ihm weniger wichtig sind. So kann er sich z.B. mit einer kleinen, billigen Wohnung begnügen und das eingesparte Geld für kulturelle Zwecke ausgeben.

Der entscheidende Punkt aber ist: Zwar wird jedem Bürger das Existenzminimum garantiert, diese Garantie gibt es jedoch nicht bedingungslos; sie verlangt Gegenleistungen. Das ist grundsätzlich nicht illegitim. So sagt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte:

„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen“ (Art. 25)

Gleichzeitig fordert sie aber auch die Gegenleistung:

„Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist.“ (Art. 29)

Diesem Gedanken entspricht das aktuelle System. Sozialhilfe wird nur gewährt, wenn die Betroffenen den Nachweis erbringen, dass sie für ihren Lebensunterhalt nicht selbst sorgen können. Dem Gesetzgeber mag das gerechtfertigt scheinen, und die Mehrheit der Gesellschaft sieht es ebenso. Für die Betroffenen aber stellen die damit verbundenen Offenbarungspflichten eine Verletzung ihrer Würde dar, insofern einen Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes. Der wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn sich kein faktischer Anspruch eines Jeden auf einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum begründen ließe.

Anspruchsrechtliche Aspekte

Dieser Anspruch besteht aber sehr wohl, und er ergibt sich aus drei Sachverhalten.

  1. Die Arbeit ist nur eine der Quellen gesellschaftlichen Reichtums. Dieser entspringt ebenso aus den Gaben der Natur: Bodenschätze, Flora und Fauna, Luft, Wasser, Grund und Boden. Die gehören Allen, also haben auch Alle einen Anspruch auf den aus diesen Quellen kommenden Reichtum. Nun kann die Gesellschaft der Meinung sein, über die Verwendung dieses Naturerbes müsse gemeinsam entschieden werden. In diesem Fall hätte aber, genauso wie in einer Erbengemeinschaft, jeder Erbe Anspruch auf Vermögensausgleich, wenn über sein Erbteil gemeinschaftlich verfügt wird.
  2. Eine weitere Quelle ist das von unseren Vorfahren Ererbte. Ohne die Leistungen früherer Generationen wäre unser Wohlstand nicht denkbar. Auch auf dieses Erbe haben Alle einen Anspruch, nicht nur die Erwerbstätigen. Wenn in einer Familie der Erbfall eintritt, dann haben ja auch alle Nachkommen Anspruch auf ihr Erbteil, nicht nur die Fleißigen. Momentan ist es aber so, dass die Erträge aus diesem Erbe vorrangig der Wirtschaft zugutekommen. Die nutzt nämlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Bildung, die Kulturlandschaft, das funktionierende Staatswesen usw. für ihren Erfolg. Auch die öffentliche Infrastruktur (Straßen, Strom- und Schienennetze, Wasserwege) wird hauptsächlich von der Wirtschaft genutzt. Aber auf den daraus gewonnenen Reichtum haben Alle einen Anspruch. Diesen zu beziffern ist schwierig, doch auch so wird klar, dass es durchaus gerecht ist, wenn ein Teil des gesellschaftlichen Reichtums verteilt wird, ohne eine Gegenleistung zu fordern.
  3. Während des weitaus größten Teils der Menschheitsgeschichte war das Recht auf Nutzung der Natur nicht eingeschränkt. Jäger und Sammler streiften durch die Wälder und nahmen sich, was sie benötigten. Nach und nach verloren die Menschen ihr angestammtes Recht, die Gaben der Natur zu nutzen. Dem Einzelnen wurden die Rechte auf Landnahme, Jagd, Siedlung, Bergbau, Wald- und Gewässernutzung mehr und mehr entzogen. „Ich habe nur eines gefunden, für das in Europa noch kein Geld erhoben wird, das jeder so oft betätigen kann, wie er will: das Luftnehmen. Doch ich möchte glauben, dass dies nur vergessen ist“, sagt der Südseehäuptling in Erich Scheurmanns „Papalagi“.
    In Folge dieser Entwicklung ist die große Mehrheit der Menschen davon abhängig geworden, zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Die traditionellen Möglichkeiten, durch Eigenarbeit den Lebensunterhalt zu sichern, sind größtenteils unmöglich geworden, weil Besitzverhältnisse oder Gesetze (meist beides) die private Nutzung der Natur verbieten. Alles was der Mensch zu früheren Zeiten ganz selbstverständlich tun konnte, ist ihm heute verwehrt. Parallel dazu haben Privateigentum und ein reglementierender Staat zu einmaligem Wohlstand geführt, so dass die meisten Menschen den verloren gegangenen Naturrechten und Freiheiten nicht nachtrauern, sie nicht einmal vermissen. Für diejenigen aber, die mit dieser Art Wohlstand nichts anfangen können oder wollen, wurde kein Ausgleich geschaffen. Ihnen bietet sich kaum eine Form von Eigenarbeit, die das Existenzminimum und gesellschaftliche Teilhabe sichern könnte. So haben sie nur die Wahl, entweder einer Erwerbsarbeit nachzugehen oder sich ins soziale Abseits zu begeben. Eine Entschädigung in Form des BGE gibt zwar die Naturrechte nicht zurück, aber sie kann helfen, sich von Erwerbsarbeit zu emanzipieren und sich Formen der Eigenarbeit zu widmen, die bislang keine Existenzsicherung gewährleisten.

Da der Anspruch eines Jeden auf einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum somit begründet werden kann, ist die Bedingtheit des gegenwärtigen Sozialhilfesystems nicht rechtmäßig. Hierzu noch einmal Heribert Prantl: „Aus stolzen Grundrechten werden bettelnde Grundrechte. Bettelnde Grundrechte sind solche, die auf Gnade angewiesen sind. Und Grundrechte, die auf Gnade angewiesen sind, sind keine Grundrechte mehr.“ [3]

Legitimationsprobleme in der Demokratie

Auch wenn der Anspruch auf ein BGE begründet werden kann, folgt nicht automatisch, dass die Gesellschaft der Argumentation folgt und diesen Anspruch akzeptiert, und zwar mit großer Mehrheit. Wenn über etwas entschieden wird, was elementar in die Belange ausnahmslos aller Mitglieder der Gesellschaft eingreift, verbietet es sich, diese Entscheidung mit knappen Mehrheiten herbeizuführen. Zumal das Recht auf ein BGE grundgesetzlich verankert werden müsste, damit nicht jede neue Regierung es als Verfügungsmasse betrachten kann. Die Verabschiedung eines solchen Gesetzes sollte also im Idealfall einstimmig erfolgen, was in der Demokratie natürlich illusorisch ist. Das Gesetz muss aber,  nach Kenntnis aller Fakten und deren rein vernunftbestimmter Abwägung für alle zustimmungsfähig sein. Diese sehr komplexe Frage behandelt Kilian Kemmer in seiner Dissertation[4] und formuliert dabei die entscheidende Frage: „Kann das bedingungslose Grundeinkommen, in seiner konkreten politischen und ökonomischen Umsetzung, eine wechselseitige Besserstellung für alle Beteiligten bedeuten?“  Dass die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit diese Frage positiv beantwortet, ist die erste Voraussetzung der Legitimation des Bedingungslosen Grundeinkommens. Und die größte Herausforderung für die Öffentlichkeitsarbeit.


[1] Erich Fromm „Haben oder Sein“ Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1976

[2] Konrad Lorenz „So kam der Mensch auf den Hund“ 1950

[3] Heribert Prantl „Zwölf Sterne für das Grundgesetz“ München: Droemer 2014

[4] Kilian Kemmer „Das bedingungslose Grundeinkommen“ Dissertation Universität München 2008

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